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Wie Schreiben gegen Angst und Panik hilft (Interview mit Janett Menzel)

Janett Menzel hat selbst an einer Angst- und Panikstörung gelitten. Schreiben half ihr und ist mittlerweile fester Bestandteil ihres Lebens. Heute ist sie Schreibtherapeutin, Autorin und Bloggerin und unterstützt andere, ihrer Angst mit Stift und Papier neu zu begegnen.

Janett, du gehörst zu den Menschen, bei denen Schreiben einen großen Teil ihres Lebens ausmacht. Du bietest Schreibtherapie an, veröffentlicht regelmäßig Selbsthilfebücher, arbeitest als Texterin – weißt du, woher deine Schreibfreude kommt?

Ich schreibe seit meinen Kindheitstagen; begonnen habe ich, soweit ich mich richtig erinnere, mit acht Jahren. In der Schule waren es Geschichten, in denen meine Freunde und ich die Hauptfiguren spielten. Viele von uns schrieben und wir hatten einen Heidenspaß daran, uns die Geschichten vorzulesen. Sie minimierten all die Schmerzen, die das Erwachsenwerden mit sich bringt. In den Geschichten führten wir ein besseres und liebevolleres Leben. Mitschüler und Jungs, für die wir schwärmten, mochten uns in den Geschichten, statt uns – wie in der Wirklichkeit – abzulehnen. Es war also eine frühe Form der Schreibtherapie, aber eine sehr wirksame.

Ich schrieb auch jahrelang Tagebücher und mit 18, 19 begann ich, mich für Lyrik zu interessieren, auch wenn ich weder früher eine gute Poetin war noch je sein werde. Aber das Schreiben in allen Formen erlaubte mir schon immer, so zu sein, wie ich bin – mit Fehlern und der Berechtigung, all meine Gefühle und Träume auszuleben, die ich in der Realität fürchtete, auszudrücken. Als ich mit 31 meine heftigste Panikstörung hatte, wurde das Schreiben wieder zu einem Zufluchtsort für mich. Doch eigentlich gilt der Dank meiner Therapeutin, die mich ermutigte, diese alte Ressource wieder herauszuholen.

Wie jonglierst du die einzelnen Schreibbereiche, hast du eine feste Routine? Wie sieht deine typische Schreibwoche aus?

Nein. Meine Intuition oder Kreativität regelt das von allein. Was wann aus mir herauskommt oder herauswill, kann ich nicht im Mindesten kontrollieren. Ich schreibe also dann, wenn mich meine innere Stimme dazu auffordert.

Du hast früher unter einer Angst- und Panikstörung gelitten und bietest heute Schreibtherapie gegen Stress und Angst an. Wie hat dir das Schreiben damals konkret geholfen? Wie häufig hast du geschrieben, wie kann ich mir das vorstellen?

Ich schrieb täglich und tue es seitdem. Seit dem 19. Mai 2013 gab es nur eine Handvoll Tage, an denen ich nicht schrieb. Anfangs waren es die Therapienotizen und meine Reflexionen darüber. Später – ohne, dass ich wusste, dass die Psychologie bereits im letzten Jahrhundert Erkenntnisse darüber gewonnen hatte – waren es Gedichte mit Reimschema. Sie waren wütend und voller Schmerz, sodass ich sie teilweise selbst nicht mehr lesen kann. Aber die Textform gab mir Struktur und einen Raum, der mir Halt bot. Später erfuhr ich, dass Menschen mit depressiven Verstimmungen von Lyrik eben deshalb profitieren.

Meine Panikstörung war nur der Schrei meines Körpers, weniger zu arbeiten und mich mehr um das zu kümmern, was ich brauchte. Stattdessen orientierte ich mich stark an den Ansprüchen anderer, was mich direkt in eine völlige emotionale und körperliche Überlastung gesteuert hatte. Meine Therapeutin und ich haben das Wort Burnout nie verwendet, aber ich kann mir heute gut vorstellen, dass die Angst und Panik nur der Weg meines Körpers war, um meiner Erschöpfung Ausdruck zu verleihen. Wenn ich Panikattacken kommen fühlte, merkte ich aber, dass mir Lyrik nicht guttat. Stattdessen blieb ich dabei, meine angst- und wuterfüllten Gedanken schlichtweg zu verschriftlichen. Wie ich ebenso später lernen durfte, benötigen Menschen mit Ängsten eine freie Textform, also eher Geschichten oder offene Texte ohne Rahmen wie Reime oder Verse.

Du veröffentlichst seit kurzer Zeit auch deine eigenen schreibtherapeutischen Texte auf einer eigenen Website. Du nennst sie “Gedanken, Gedichte, Geschichten und Briefe für deine Heilung.” Was hat es mit diesen Texten auf sich? Warum eine eigene Website und warum erst jetzt?

Eine eigene Website deshalb, weil meine ursprüngliche www.ich-habe-auch-angst.de eher dem informativen Zweck dient und dienen sollte. Ich brauchte einfach ein eigenes und freies Zuhause für meine Kreativität.

Warum erst jetzt? ist eine gute Frage, die ich nur schwer beantworten kann. Ich glaube, dass ich noch immer stark in den Leistungsansprüchen verworren bin und eher zu fundierten Themen bzw. Blogposts in Kommentarform tendiere, um mehreren Ansprüchen zu genügen. Das ist bei den Gedichten, Briefen und Geschichten aufgrund individueller Geschmäcker faktisch unmöglich. Mich in der anderen Welt und an einem anderen Ort im Netz mit einer anderen Stimme auszudrücken, reflektiert vielleicht die Trennung, die ich noch immer in mir spüre, zwischen meiner Vernunft und meinem Herzen.

Was es damit auf sich hat, kann ich leichter beantworten: Ich merke immer wieder seit Beginn des Blogs im März 2015, dass sich Menschen – so wie ich – schwer damit tun, sich so zu mögen, wie sie sind. Sie orientieren sich anderen und ihren Meinungen über sich, sie wollen alle zufriedenstellen, weil sie sich stets angenommen und geliebt fühlen möchten. Das bringt einige Probleme mit sich, die in den meisten Fällen nicht weniger werden.

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Auf der janettmenzel.com vereine ich deshalb meine Gedanken in allen Textformen dazu, dass jeder so sein darf und sein sollte, wie er ist – auch, wenn es anderen Menschen Schwierigkeiten bereitet. So hart, wie es sich anhören mag: Jeder sollte für sich an erster Stelle sorgen, auch wenn das Trennungen oder Konflikte schüren könnte. Unsere Vergangenheit formt die Gedanken, die wir über uns haben, sie macht unseren Selbstwert aus. Jeder trägt seine Wunden mit sich herum, die er mehr oder minder, gut oder schlechter versucht, heilen zu lassen. Ich denke, meine Texte möchten das unterstützen. Jedenfalls wäre das das ideale Ziel.

Was unterscheiden die schreibtherapeutischen Übungen gegen Angst und Panik zum Beispiel von Methoden der Schreibtherapie oder anders: was zeichnet sie aus?

Franz Kafka sagte einst, dass ein Buch die Axt für das gefrorene Meer in uns sein muss. Schreiben bringt Gefühle in Bewegung, die vorher in einer Starre waren und durch Ereignisse nach Ausdruck suchen.

Bei Angst und Panik braucht es eine freie und offene Textform, also keine Gedichte, die noch extra einengen. Gedichte dienen eher bei Überlastung und depressiven Stimmungen, um Halt zu geben. Methoden der Schreibtherapie sind prinzipiell vom Lesen und Besprechen eines Textes, über normales Tagebuchschreiben bis hin zu intuitivem, meditativem oder autobiografischen Schreiben, Briefeschreiben oder Märchen so vielfältig wie die Literatur selbst. Wichtig ist nur, dass die Katharsis im Mittelpunkt steht: die selbst eingeleitete Läuterung als Zweck der Reinigung.

Psychotherapie und Schreibtherapie: Wann ist welche Methode bei einer Angststörung zu empfehlen? Wie ist aus deiner Sicht das Verhältnis?

Bei einer Angststörung sollte man immer in die Psychotherapie gehen. Je nachdem, wie man selbst zum Schreiben steht, können, wie schon gesagt, freie Textformen verwendet werden, um der gefühlten und blockierenden Enge im Kopf und Körper Raum zu geben. Einige Therapeuten und Kliniken nutzen auch schreibtherapeutische Interventionen für Patienten.

Schreiben bei und gegen Angst und Panik kann vom einfachen Ausdruck der Gefühle, die man sich verbietet, wie zum Beispiel Wut, gehen, bis hin zum Schreiben von Märchen, in denen man selbst die Hauptperson ist, die Gerechtigkeit erfährt oder die Dinge in einem anderen Licht betrachtet. Es ist immer abhängig von der Ursache der Erkrankung.

Gibt es eine Übung, die du so mitgeben kannst für alle, die mit Ängsten oder Panik kämpfen und sie ausprobieren können?

Ich kann unbedingt Briefe empfehlen, die frei formuliert sind. Die können zum einen an sich selbst gerichtet sein, als auch an Menschen, die man verletzt hat oder von denen man verletzt wurde, die man vermisst, weil sie verstorben oder nicht mehr Teil des Lebens sind oder denen man gern etwas sagen möchte, um sich zu entlasten. Es gibt eine Variante, die zuerst einen Brief verfasst, den man selbst in seiner Stimme an jemanden formuliert. Dann lässt man den Adressaten des Briefes in seiner Stimme antworten. Das ist der zweite Brief. Ein letzter Brief stellt sich neutral zwischen einen selbst und den Adressaten und beschreibt, was zwischen ihnen geschehen ist, in einem urteilsfreien Stil.

Aber auch Tagebuch zu führen, kann ich nur jedem ans Herz legen, um die ganzen Grübeleien aus dem Kopf zu verbannen. Bei Panikattacken empfehle ich dringend, im Moment der Angst vor der Angst zu Papier und Stift zu greifen. Sich während des Schreibens der Angst zu entledigen, die Panikattacke könne kommen, funktioniert einwandfrei. Man schreibt einfach nur auf, dass man Angst hat und wovor genau, was man glaubt, was dann geschehen würde, wenn man eine Attacke bekäme und wie die Situation im Kopf ablaufen würde. Das entlädt einen Großteil der Angst, einfach deshalb, weil man seiner Angst erlaubt hat, da zu sein.

Du veröffentlichst auch Selbsthilfebücher: Inwieweit helfen sie dir, deine eigenen Themen zu bearbeiten?

Meine Bücher sind meine eigenen Themen. Ich schreibe darin über nichts, was mir nicht selbst nahe war oder Angst gemacht hat. Ich entschied mich für die Buchform, weil es vielen so geht, wie es mir einst ging: mit dem Alleinsein zurechtzukommen, Ideenmanagement, heimliche Affären als Beziehungsform. Im Dezember erscheint mein viertes Buch, dieses Mal zum Thema Beziehungsängste aus der Sicht einer Beziehungsängstlichen. Alle Bücher sind der Versuch, jemandem bei seinem Kampf zu unterstützen, in der Hoffnung, dass meine Gedanken hilfreich sind.

Du bist selbstständig. Das meist nicht das stressärmste Jobmodell. Welche anderen Rituale und Gewohnheiten helfen dir neben dem Schreiben in Balance zu bleiben?

Das stimmt. Stress ist reichlich da. Aber es ist neben dem Schreiben vor allem die Nähe zu meinen Tieren, die mich nährt. In der Natur und mit meinen Freunden zusammen zu sein, geben mir viel Kraft, genauso wie tägliches Meditieren und mehrmaliges Yoga pro Woche. Ich habe ein paar Spleens, die mir ziemlich guttun: Ich bade täglich, ich lese vor dem Schlafengehen immer in „Der kleine Prinz“ und ich schaue täglich meine Lieblingsserie. Habe ich den kleinen Prinzen oder die Staffeln meiner Serie durch, beginne ich von vorn.

Du bist beruflich sehr vielseitig aufgestellt, arbeitest als Coach, bist Autorin und Texterin, veröffentlichst autogenes Training. Du schreibst auf deiner Website, dass du dich 2018 mit Körperpsychotherapie beschäftigen willst: Das klingt, als hättest du ein festes Curriculum für dich entwickelt. Wie findest du deine Themen oder wie finden dich deine Themen?

Sie finden mich oder ich finde sie. Ich weiß es gar nicht genau. Ich weiß nur, dass ich Bildung liebe und es mich krankmacht, wenn ich nichts lernen kann. Ich verabscheue gedankliche Routinen und Monotonie. Ich habe bei vielen Themen, die ich so beruflich aufschnappe, das Gefühl, dass es das nicht gewesen sein kann.

Ich bin immer auf der Suche nach einem neuen Gedanken zu einem alten Thema, weil ich das Thema sonst einfach nicht ertragen würde. Es würde mich langweilen. Zum Glück gibt es Dutzende Autoren und Therapeuten, inspirierende Menschen und Lehrer, die genauso sind und sich trauen, selbst mit den ungewöhnlichsten Verknüpfungen neue Muster aufzudecken, um auch alte Themen mit ihren Erkenntnissen anzureichern. Das fordert und fördert die Menschen. Irgendwo auf der Welt wird es ein Kind, eine Frau, einen Mann oder ein Lebewesen geben, das genau diese Erkenntnis brauchte und ihm in seinem Leben und Wirken Freiheit schenkt.

Der Gedanke, dass man sich stets neu erfinden und so weiterentwickeln, seinen Weg finden und eben auf diese Weise an seinen Kern gelangen kann, macht mich glücklich. Das ist für mich wahre Freiheit.

Vielen Dank für das Interview.

Janett Menzel lebt und arbeitet als Autorin, Mentorin und Stimme in Berlin. Sie ist Initiatorin mehrerer Selbstheilungswebsites, darunter www.ich-habe-auch-angst.de und www.janettmenzel.com.

3 comments

  1. Hallo Janett!
    Schöne Rest-Adventszeit, ein friedliches Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in’s Neue Jahr für Dich!
    Schreiben lenkt auch gut ab in Anspannungssituationen.

    Grüße aus der -bei mir auch fast täglichen- Badewanne… 😉 Ein schöner Ort zum Lesen, Entspannen und Wärme auf den Körper übertragen.

    A.

  2. Annette says:

    Beginne erst jetzt, mich mit Schreibtherapie zu befassen – ja, Angst ist auch ein Thema für mich … Aber ob man das Geschriebene nur für sich behalten muss?

    Hab im Internet die anscheinend neue Zeitschrift “Psychologieforum” entdeckt – ich glaube dort kann man solche Briefe auch hinschicken.

    LG Annette

  3. Markus Lange says:

    Ich bin den Tränen nahe, weil das Einfachste so nahe liegt und dennoch kaum vollbracht werden kann. Aufmerksam habe ich mir gerade dein Interview durchgelesen und wünschte ich hätte ein bisschen mehr von deiner Courage liebe Janett. Den Tod meiner Oma bis heute nicht verwunden und immer tiefer in mich eingekehrt werde ich jetzt einen Brief an sie schreiben. Danke!

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