Stille Rettung

Ich muss dir ein Geständnis machen:

Das Schreiben hatte bei mir irgendwann aufgehört zu funktionieren.

Das zuzugeben, fällt mir schwer. Während auf meiner Website stand, dass es wahnsinnig toll gegen Depressionen, Ängste und hast du nicht gesehen hilft, hat es bei mir … nicht mehr geholfen.

Es hat alles sogar nur noch schlimmer gemacht.

Anfang des Jahres war meine Depression zurückgekehrt. In der dunkelsten Ausgabe. Meine Tagesleistung bestand darin, vom Bett ins Bad zu schlurfen, nur um nach dem Zähneputzen erschöpft zurück unter die Bettdecke zu kriechen und mich dafür zu schämen, dass ich nicht in der Lage war, die einfachsten Dinge geregelt zu kriegen.

Am Anfang hatte ich dann noch in mein Tagebuch geschrieben, Kopf sortieren. Gefühle abladen. Aber dabei verhedderte ich mich nur noch mehr in Selbstvorwürfen: Hast du denn gar nichts in den Therapien gelernt? Warum fällst du immer wieder in dieses Loch zurück? Du hast doch ein gutes Leben …

Also hörte ich auf zu schreiben.

Und nach Tagen oder Wochen war mein Kopf einfach nur noch vernebelt. Da gab es keine Gedanken mehr auszuleeren.

Der Angst vor Hartz IV verdanke ich es, dass ich an den meisten Tagen trotz Kopfnebel eine Form von Alltag simulierte: Aufstehen. Essen. Arbeiten. Schlafen. Kontakte mit Menschen? In Berlin gehört es fast zum guten Ton, Verabredungen in letzter Minute zu verschieben. Dass ich mich immer weiter einigelte, fiel nicht auf. Meine Freizeit bestand wahlweise in an die Wand oder auf Netflix starren.

Mir war klar, dass ich etwas ändern musste, wenn etwas anders werden sollte.

Rausgehen, Freunde treffen, Sport machen. Klingt einfach, schaffte ich aber nicht. Und als ich mir eingestand, dass ich so ziemlich alle schulmedizinischen und alternativen Methoden durch hatte, die man gegen Depression unternehmen kann – Verhaltenstherapie, tiefenpsychologische Therapie, Klinikaufenthalt, Hypnose, Reiki – wurde es richtig still in mir.

Ich könnte jetzt sagen: Ich war verzweifelt. War ich nicht. Ich war leer. Ich fühlte gar nichts. Wenn man lebendig tot sein kann, dann ist das vielleicht dieser Zustand.

Ich blieb in dieser Stille sitzen und dann lichtete sich der Kopfnebel kurz. Lange genug, dass mir klar wurde, dass ich es alleine nicht schaffe. Und mein Therapeut (ja, den gab’s schon) allein auch nicht ausreichte.

Ich brauchte jemanden, der mich durch den Tag begleitete, der mich erinnerte, dem depressiven Autopiloten nicht das Steuer zu überlassen. Der mich morgens aus dem Bett zog und auf das Meditationskissen setzte. Der mich erinnerte, Freunde anzurufen. Das Gute zu suchen. In der Welt und in mir.

Gibt’s so jemanden? Nein, niemand ist 24 Stunden am Tag für dich da. Ein Klinikaufenthalt schafft es annähernd. Aber danach stünde ich an dergleichen Stelle. Ich wollte und musste es selbst hinbekommen.

Und dann habe ich doch wieder zu meinem Notizbuch gegriffen. Mir alles notiert, von dem ich wusste, dass es gegen Depression hilft. Ausreichend Schlaf, Achtsamkeit, soziale Kontakte, gesundes Essen. Nein, keine Pizza bestellen. Und ich habe ein paar Fragen ergänzt, die ich zwar nicht mehr hören konnte, von denen ich aber wusste, dass sie mein Gehirn trainieren, wieder Schönes zu sehen und Hoffnung zu haben.

Ich beschloss: Dieses Notizbuch wird mein persönlicher Coach sein. Ich würde ihm blind folgen. Für die nächsten vier Wochen. Weil ich in gerade einen lichten Moment hatte und verstand, dass diese Dinge helfen werden.

War ich nach vier Wochen das blühende Leben? Konfetti und Sonnenschein? Nein. Die erste Woche war Boxkampf ohne Handschuhe.

Mir ist es nicht immer gelungen, Menschen zu treffen, rauszugehen oder tagsüber nicht im Bett zu liegen. Mein Notizbuch hatte diverse Lücken. Aber es gab einen Unterschied: Ich konnte es mir eingestehen und betrachtete es nicht als Beweis dafür, dass ich es nie wieder da rausschaffen würde.

Ich machte weiter, zuerst mechanisch, schwerfällig. Aber irgendwann kam ich in Tritt. Mir fielen mehr als die immer gleichen zwei Dinge ein, mit denen ich mir den Tag verschönern würde. Und ich merkte, dass ich anfing zu glauben, was ich da unter “Das ist mir heute gut gelungen” notierte. Ja, nach einigen Wochen sah mein Lächeln nicht mehr nur von außen nach Lächeln aus, sondern fühlte sich von innen heraus auch so an.

Und irgendwann erinnerte ich mich wieder ohne meinen persönlichen Coach daran, wie das geht mit dem guten Leben. Ich erinnerte mich ans Freunde anrufen, ans ins Grüne fahren und ans Pause machen.

Der kurze lichte Moment, in dem ich diese für gesunde Menschen vielleicht simple Journal-Struktur aufgeschrieben habe, hat mich gerettet.

Gut möglich, dass ich in ein paar Monaten wieder in einem depressiven Tal sitze. Aber dann habe ich meinen Taschenbuch-Coach. Und du kannst ihn auch haben.