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Was ist der Unterschied zwischen Tagebuch und Journaling?

Journaling wird immer beliebter: Menschen schreiben, um viele ihrer Lebensprobleme selbst zu lösen und glücklicher und erfolgreicher zu werden. Auf den ersten Blick könnte man meinen, es handelt sich ums Tagebuchschreiben. Tatsächlich ist die Abgrenzung zum Journaling nicht ganz einfach.

Mein Ziel mit diesem Blog ist es, Menschen dafür zu begeistern, ihr Leben selbst und den Stift in die Hand zu nehmen. Damit sie glücklicher, liebevoller und erfüllter durchs Leben gehen. Dafür gibt es viele gute und auch wissenschaftlich untersuchte Schreibmethoden.

Tagebuchschreiben hatte lange ein Image-Problem

Der Begriff Tagebuchschreiben war in der deutschen Sprache lange negativ besetzt. Und er wird immer noch viel zu häufig in Verbindung gebracht mit kleinen Mädchen und Liebeskummer. Mit Schreiben, bei dem das Abladen von vermeintlich negativen Gefühlen im  Vordergrund steht und das keinen konstruktiven Ansatz verfolgt. Tatsächlich kann aber das freie Schreiben von Morgenseiten oder das automatische Schreiben viel Positives bewirken – und beide Methoden könnte man als eine Art des Tagebuchschreibens bezeichnen.

Aber gut, Journaling scheint der Begriff der Stunde zu sein. Englisch klingt jung und irgendwie cool. Nun gut. Ich bin kein Freund von Denglisch. Ich liebe die deutsche Sprache, ihren Facettenreichtum und ihren Klang. Aber tatsächlich hat der Begriff auch eine inhaltliche Berechtigung. Und daher rede ich bei Schreibenwirkt meist von Journaling. Damit wird auch klarer, worum es beim Schreiben – wie ich es meine – gehen soll.

Was ist also der Unterschied zwischen Tagebuch und Journal?

Zunächst einmal: Nicht alles, was aus Amerika kommt, ist gut, aber in Sachen Persönlichkeitsentwicklung mit Stift und Papier sind die USA uns weit voraus. Dort unterscheidet man schon lange zwischen Diary und Journal. Dort nutzt man das Schreiben schon seit den 1970er-Jahren als Therapie- und Selbsthilfetool und integriert es mittlerweile selbstverständlich als Schreibtherapie in psychotherapeutische Behandlungen.

Wenn es um die Persönlichkeitsentwicklung geht und darum, sich in ein besseres Leben zu schreiben, wird in der Regel immer von Journaling statt von Diary gesprochen. Die Unterscheidung erscheint mir sinnvoll und passend und darum werde ich sie auf diesem  Blog in Zukunft ebenfalls machen.

Aber zunächst zur Gemeinsamkeit: Gemeinsam ist dem Diary und Journal, dass es sich um datierte Aufzeichnungen handelt, die in einer chronologischen Abfolge stehen.

Beim Diary, also Tagebuch, werden die Aufzeichnungen in der Regel täglich gemacht und sind – und das ist der entscheidende Unterschied – eher auf die äußeren Erfahrungen und Erlebnisse fokussiert. Da hat das Klischee des Schulmädchens, das über ihren ersten Liebeskummer schreibt, seinen Ursprung.

Das Journaling könnte man als die erwachsene Form des Tagebuchschreibens bezeichnen.

Die Einträge finden nicht mehr unbedingt täglich statt und vor allem fokussiert das Schreiben jetzt auf das innere Erleben statt auf die äußeren Ereignisse.

Nehmen wir ein Beispiel.

Ein Auszug aus einem Tagebuch könnte vielleicht so klingen:

Wir sind in das kleine neue Lokal gegangen und haben uns die teuerste Pizza bestellt. Wir haben bis 23 Uhr da gesessen und sind als letzte gegangen.

Dagegen würde sich ein Eintrag in einem Journal vielleicht eher so lesen:

Ich wusste schon bei der Einladung, dass etwas nicht stimmt. Er hatte diesen ernsten Ton in der Stimme. Hätte ich ahnen können, worum es geht? Hätte ich mich anders verhalten solllen? Ich weiß, dass ich jetzt nichts mehr ändern kann, aber…

Persönliches Wachstum und ehrliche Reflexion entstehen durch den Blick nach Innen. Indem wir Gefühle und Gedanken in Worte fassen und unser Unterbewusstsein ganz spontan den Stift führen lassen. Da liegt das Gold vergraben. Da kommen uns neue Erkenntnisse und Perspektiven, die uns verändern und anders weitergehen lassen.

“Journaling is a little different. You will dig deep into your soul to find those feelings and emotions you have suppressed for years. Whether you know it or not, those feelings affect you everyday of your life. They affect your decision making process, your relationships and even your job performance.” Lakeysha-Marie Greene

Fragen kommt eine besondere Bedeutung zu.

Journaling greift häufig – nicht immer – auf Impulsfragen zurück, die teilweise unabhängig voneinander, teilweise aufeinander aufbauend, einen inneren Reflexionsprozess zu einem bestimmten Thema anstoßen und leiten. Wachstum braucht Richtung. Nur weil ich den Stift aufs Papier setze, ist noch keine Verbesserung meiner Situation garantiert.

Fragen sind Türöffner. Sie weiten den Blick, sie laden ein, neue Perspektiven einzunehmen und den Fokus gezielt auf das Gute und Entwickelnswerte zu legen. Das Dankbarkeitsjournal oder mein E-Mailkurs zur Selbstfreundschaft arbeiten zum Beispiel nach diesem Prinzip der Impulsfragen.

Impulsfragen können unsere Gedanken in eine gesunde Richtung lenken, können Themen ins Bewusstsein rücken, die in unserem blinden Fleck liegen. Sie geben keine Antworten, aber helfen, dass wir uns selbst unsere Antworten geben können.

Innenschau als verbindendes Element der Journaling-Ansätze

Andere Ansätze des Journalings arbeiten mit Satzanfängen. Unser Gehirn hat die Tendenz, Angefangenes zu vervollständigen, was wir nutzen können, um Unbewusstes an die Oberfläche zu bringen.

Bilder, Gedichte oder andere reflektierende Texte können ebenfalls als Impuls verwendet werden, um sich beim Schreiben der eigenen Gedanken und Gefühle zu einem Thema  bewusst zu werden.

Manche Journaling-Methoden fordern den Schreibenden schlichtweg auf, sich von seiner Intuition leiten zu lassen (z.B. Morgenseiten, Schreibmeditation). Dabei finden dann neben den reinen Beschreibungen von Geschehnissen ganz automatisch auch Gefühle und tiefe Reflexionen aufs Papier.

Allen Methoden gemeinsam ist, dass das Schreiben über die Schilderung von Äußerlichkeiten hinausführt und zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst und seinen unbewussten Anteilen einlädt.

Dieses Schreiben führt zu neuen Perspektiven und Lösungsideen, die – in die Tat umgesetzt – das Leben des Schreibenden Schritt für Schritt zum Besseren verändern.

War dir der Unterschied zwischen Journaling und Tagebuch bekannt?
Was hältst du vom Einzug des Journaling-Begriffs in die deutsche Sprachlandschaft?

 

22 comments

  1. Astrid says:

    Wenn ich mir die aktuelle Literatur zum Thema “Tagebuch schreiben” ansehe, kann ich nicht finden, dass dieser Begriff mit Schulmädchenschreibe oder Oberflächlichkeit korreliert wäre – jedenfalls nicht stärker als “Journaling” mit dem Image eines vorübergehenden Trend-Themas von ebensolcher Oberflächlichkeit. Interessanter als die Anpassung an ein (vermeintlich?) herrschendes Vorurteil fände ich ja den Versuch einer Neuentdeckung. Kann/muss/darf “Tagebuch schreiben 2017” nicht etwas ganz Anderes sein als “Tagebuch schreiben 1967/1977/1987 …” gewesen war?

    Nebenbei eine andere Frage: Erachtest du es für dringend notwendig, in deine Blogs eine solche Menge an Tippfehlern einzubauen? Vergurkte Endungen und fehlende Kommata oder das Ins-Nirwana-Verschwinden ganzer Satzteile (siehe 2. Abschnitt, 1. Satz dieses Artikels) mindern die Glaubwürdigkeit gerade beim Thema “Schreiben” erheblich …

  2. monikakolling says:

    Lieber Paul,
    Ich habe mich an dem Wort “Tagebuch” nie gestoßen, was evtl auch etwas mit meinem betagteren Alter von 53 Jahren zu tun hat. Mir erscheint “Journaling” hingegen lediglich “denglisiert”.
    Dennoch verstehe ich deine Beweggründe und kann mir in der Tat vorstellen, dass du so mehr und vor allem junge Adressaten erreichen kannst. Da macht es doch wohl Sinn.
    Auch ich schreibe nicht täglich in mein Buch. Manchmal klaffen beträchtliche Datumlücken zwischen den einzelnen Eintragungen. Das hat jedoch nichts damit zu tun, wie ich mein Buch nenne. Meins heißt übrigens Tagebuch.
    Ob ein Schreiber eher seine äußeren Erlebnisse oder sein Innenleben zu Papier bringt liegt, glaube ich, am persönlichen Stand der Entwicklung und an seinen Kenntnissen verschiedener Schreibtechniken. Mich bringt es bei konkreten Problemen oft weiter, wenn ich mal eine neue Methode ausprobiere. Am Ende ziehe ich jeweils ein Fazit aus meinen Aufzeichnungen.
    Egal wie dein Schreiben zukünftig heißen wird – mach weiter so!
    Ich stöbere sehr gern auf deinen Seiten herum und danke dir dafür!
    Moni

  3. robertkraxner says:

    Hey Paul,

    starker Artikel! – Als Mann habe ich mit dem Begriff “Tagebuch” die Herausforderung, dass unbewusst sofort zu tragen kommt:

    “Das ist ja nur etwas für Mädchen!”

    Für mich als Persönlichkeits-Entwicklungs-Fan ist der Begriff “Tagebuch” außerdem zu “schmal”.

    “Journaling” finde ich super.

    Alles Liebe
    Robert

    • Paul says:

      Hey Robert,
      danke fürs Vorbeischauen. Freut mich, dass ich dich mit dem neuen Begriff nun auch erreiche ;).
      Viele Grüße

      Paul

  4. Kerstin Schwerdtfeger says:

    Hallo Paul,

    ich hatte mich vor einigen Wochen zufällig auch mit diesem Thema befasst, als ich das Notizen-Chaos in meiner Evernote “[INBOX]” endlich (!) auf kategorisierte Notizbücher – “Rezepte”, “Vorlagen”, etc. – verteilen wollte, wie ich es anfangs, nachdem ich von Diaro auf Evernote umgestiegen war, eigentlich vorgesehen hatte. Und so wartete bereits ein “Tagebuch”-Notizbuch auf all jene Notizen mit meinen Gedanken, Gefühlen, Erlebnissen, Beobachtungen, Zeichnungen, Fotos und ähnlichem… Doch plötzlich kam mir die Bezeichnung Tagebuch irgendwie nicht mehr wirklich passend vor und ich fragte mich, ob Journal vielleicht zutreffender sei. Aber was genau ist eigentlich der Unterschied zwischen Tagebuch und Journal? Gibt es überhaupt einen?

    Nach ausgiebiger Google-Recherche und gefühlten 193½ gelesenen Definitionen, Erklärungen und Meinungen zu dieser Frage (sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch), von denen letztere sehr unterschiedlich waren, kam ich zu einer ganz ähnlichen Auffassung wie der, die Du in diesem Artikel vertrittst. Ein paar Tage später habe ich mich dann noch mit einem lieben Freund in den USA am Telefon darüber unterhalten, der ebenfalls schreibt, und ihn gefragt, wieso er in dem Zusammenhang immer das Wort “journal” und nie “diary” verwendet. Ich will jetzt nicht seine gesamte Antwort wiedergeben, doch ein Teil davon deckte sich sinngemäß mit Robertkraxners Kommentar, denn er sagte (mit einem verbalen Augenzwinkern): “Besides, girls write diaries – guys keep journals!” Nichtsdestotrotz bin ich zu dem Schluss gekommen, dass meine Art zu schreiben wohl tatsächlich eher dem “Journaling” als dem “Tagebuchschreiben” entspricht, und nachdem ich das für mich geklärt hatte, nannte ich auch das Notizbuch für meine persönlichen Notizen in “Journal” um.

    Last but not least: Insgesamt hat mir Dein Artikel auch diesmal wieder sehr gut gefallen! Ich freue mich nach wie vor, letztes Jahr auf Deinen Blog gestoßen zu sein, bedaure nur, dass ich mich schon seit längerem nicht mehr aktiv – abgesehen vom Mitlesen – in unserer Facebook-Gruppe beteiligen konnte. Das wird sich jedoch hoffentlich wieder ändern.

    Liebe Grüße
    Kerstin

  5. Gool Van Dracis says:

    Hi Paul.
    Ich kenne das Problem. Ich habe auch andere Worte ausprobiert um meinem Umfeld klar zu machen das ich Tagebuch schreib. Ich nannte es Logbuch, Aufzeichnungen oder Chronik. Aber am Ende blieb es doch mein Tagebuch.

  6. the thinking jo says:

    Warum haltet ihr euch denn mit dem Begriff auf. Ein Begriff hat nur eine Funktion: dem anderen zu vermitteln worum es geht oder dem Google etwas zu entlocken. Ein Schlagwort oder tag.
    Aber was der einzelne Schreibt und wie, ist sicher so verschieden wie die Menschen selbst die schreiben.

    Nicht jedes Sachbuch hat den gleichen Stil und nicht jeder Roman. Warum sollten wir also nicht die Freiheit haben, das in unser Tagebuch zu schreiben, was wir gerade möchten.

    Und psychologisch betrachtet schreiben wir doch sowieso auf, was uns gerade beschäftigt. Das reinigt die Seele und entspricht dann eher dem englischen Konzept von Journaling. Aber sind nicht die Worte des Schulmädchens genau das gleiche? Es geht um Verarbeitung, Aufbewahrung und später vielleicht einmal Rückschau in die eigene Seele vor langer Zeit.

    Ich habe vor vielen Jahren einmal damit angefangen, und naja, nach kurzen wieder aufgehört. In diesen Tage wollte ich wieder damit anfagen. Schliesslich heisst es ja jeder erfolgreiche Mensch hat ein Tagebuch, pardon Journal geführt. Es ist schon lustig nach vielen Jahren zu sehen, was in einem vorging und wissend um das Ergebnis zurückzublicken….

    • Paul says:

      Hey Jo recht hast du. Die Begrifflichkeiten sind letztlich wirklich egal. Wichtig ist, dass man schreibt und da bestimmt jeder selbst die Regeln. Ich blätter auch ab und zu mal alte Bücher durch…die Veränderung ist manchmal schon enorm…Ich freu mich, wenn du hier Inspiration für deinen Wiedereinstieg ins Tagebuchschreiben findest.

  7. Beatrix says:

    Lieber Paul,
    da sprichst du einen wichtigen Aspekt an. Da ich für mein Buch Die Seelenfeder lange recherchiert habe zu dem Begriff und dem therapeutischen Effekt des Journaling, habe ich einige sehr interessante Details gefunden. Das Journaling sortiert hinterher die Eintragungen, wie ich es verstanden habe, als eine Art Analyse, was ich persönlich auf Grund der vielen Glaubenssätze auch wichtig finde, die einem beim Tagebuchschreiben so “rausrutschen”. Und es funktioniert eher wie Gehirn leeren (Braindrop) oder wie wir es von den Morgenseiten kennen. Es hat Vorteile, wenn man Gedanken, Ziele und Wünsche herausfiltert im Nachhinein.
    In dem Punkt der Begrifflichkeit gebe ich dir 100 % Recht, denn ich hatte keine Ahnung, dass andere darunter etwas verstaubtes verstehen, bis einige Seminarteilnehmer mich wie bedeppert anschauten, als ich sie zu Tagebuch schreiben aufgefordert habe. Hinterher meinten sie, dass sie sich lange geweigert hätten, weil das wäre doch was für Kinder?! Ich war sowas von erstaunt und es gab mir einmal mehr den Hinweis, genauer zu erklären, was ich darunter verstehe;) Wenn du mir mal deine Adresse mailst, schick ich dir das versprochene Rezensionsexemplar, hab jetzt den ersten Schub bekommen! LG
    Beatrix

  8. Nadine says:

    Hi,

    ich “journale” derzeit in einem englischen Journal, dieses gibt auch am Anfang eine Einleitung mit Tipps und einem Teil zum Reflektieren auf die eigenen Werte, Plaene und was einem wichtig ist. Durchs Jahr wird man dann taeglich mit Fragen begeleitet zum Tag und was man sich vornehmen moechte sowie einer Reflexion am Abend, einem 90 Tage Plan, Wochenplan usw. Nun suche ich etwas Aehnliches auf Deutsch fuer Freunde denen diese Idee gut gefaellt, jedoch konnte ich bis jetzt noch nichts Ueberzeugendes finden. Haette jemand eine Empfehlung fuer mich ?
    Lg
    Nadine

    • Paul says:

      Hi Nadine,
      ich kann dir dafür die Rubrik Journal-Tests hier auf der Seite empfehlen. 🙂 Es gibt so viele gut gemachte Journale: Ein guter Plan, Klarheit, 6-Minuten-Journal… je nachdem, was einem gerade wichtig ist und welcher Schreibtyp man ist, passt das eine besser als das andere. Vielleicht helfen dir die Erfahrungsberichte etwas weiter bei der Suche. Hoffe, das hilft dir.
      VG
      Paul

  9. Jeff says:

    Hallo Paul,

    ich bin auf Deine Seite gestoßen, weil ich nachschlagen wollte, was denn der Unterschied zwischen den Begriffen Tagebuch und Journaling sein soll.

    Nach dem Lesen verstehe ich, wie der Begriff zustande kommt.

    Allerdings finde ich die Unterscheidung nach wie vor befremdlich. Ich bin selber ein Mann Mitte 30 und schreibe, mit Unterbrechungen, seit Jahrzehnten Tagebuch. Ich habe das nie als mädchenhaft empfunden und auch nie diese Reduktion auf das simple Festhalten von Alltagsgeschehnissen darin gesehen. Tagebuch zu führen hatte für mich immer dieses Moment der Reflexion. Natürlich notiere ich auch hin und wieder Ereignisse, aber ein wesentlicher Teil meiner Einträge gilt durchgehend den eigenen Gedanken, der Verknüpfung/Loslösung meiner selbst mit/von dem Kontext, in dem ich lebe, denke und fühle, sowohl punktuell auf meine Gegenwart bezogen wie auch mit dem langfristigen Blick zurück und nach vorne.

    Woher rührt diese Auffassung? Ich kannte die Praxis des Tagebuchs von vielen Beispielen – sowohl aus der Literatur wie auch aus der Politik. Auch waren diese Beispiele nie auf ein Geschlecht reduziert.

    Letzteres befremdet mich am meisten. Natürlich schreibt eine weibliche Jugendliche in den Höhen und Tiefen ihrer ersten Liebe und Beziehungen vielleicht mehr zu diesem Thema. Aber warum die Annahme, dass dabei nur geschmachtet wird, und nicht etwa auch reflektiert wird? Und warum soll der Umstand, dass auch eine Fünfzehnjährige mit Liebeskummer Tagebuch schreibt, stellvertretend sein für eine Praxis, die von vielen Menschen unterschiedlicher Geschlechter, Altersstufen und Lebenssituationen angewendet wird?

    Insofern belustigt es mich – ohne das böse zu meinen – wenn hier andere Männer davon schreiben, dass sie einerseits gerne reflektieren, und andererseits den Begriff Tagebuch auf etwas vermeintlich Mädchenhaftes reduzieren und in nicht mit ihrem eigenen Geschlechterbild vereinbaren können. Und dann deshalb den Begriff Journaling vorziehen, damit sie sich nicht aus Versehen weiblich fühlen müssen. Lustig, weil ich mich dann frage, wieso nicht diese Begriffe und deren Konnotationen reflektiert werden? Wieso nicht das eigene Geschlechterbild abklopfen und eventuell feststellen, wie beengend das Denken in solchen Kategorien sein kann – für einen selbst? Wenn es mir gut tut, meine Gedanken niederzuschreiben und mir in einem Tagebuch den Raum für persönliche Reflexion und Weiterentwicklung zu geben – warum dann mich belasten mit einem Gedanken, dass das ja eventuell eine zu “weibliche” Beschäftigung sein könnte für einen “Mann” wie mich, eine Beschäftigung also, die ich vor meinen Kumpels (vielleicht auch meiner Partnerin) besser verberge, bis dann ein Begriff wie Journaling kommt und mich befreit? Wäre es nicht so viel schöner und leichter zu leben, wenn wir alle einfach zu dem stehen könnten, was wir schätzen und was uns gut tut, ohne uns durch Geschlechterdenken selbst Schranken aufzuerlegen?

    If it feels good, do it. Ich möchte es niemandem nehmen, wenn er oder sie den Begriff Journaling bevorzugt. Hauptsache, es bringt euch was und ihr habt Spaß damit! 🙂

    Liebe Grüße
    Jeff

  10. Silvia says:

    Danke für diesen tollen Beitrag. Ich bin zwar ein Mädchen, aber ich finde es ganz toll, dass auch Männer sich mit dem Journaling beschäftigen. Deinen Beitrag werde ich gleich auf unserem Blog verlinken, sehr spannend! Danke dafür. Liebe Grüße aus Südtirol

  11. Sarah says:

    Also ich weiß ja nicht … Genau das, was heute unter Journaling bekannt ist, nämlich seine Gedanken und Gefühle aufschreiben, mache ich schon seit Jahrzehnten, lange bevor es diesen Begriff gegeben hat. Das hieß damals einfach Tagebuch für mich und so heißt es heute auch noch bei mir. Es kommt nicht auf den Begriff an, den man dafür verwendet, sondern darauf, was und wie man schreibt. Und so viel ich auch übers journaling lese, hat fast jeder eine eigene Definition dafür.

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