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Tagbücher sind die neuen grünen Smoothies

Smoothies haben einen Siegeszug in drei Phasen hingelegt. Vor einigen Jahren haben nur wenige Smoothies getrunken und es wurde als etwas seltsam belächelt. Dann haben es einige ausprobiert und gemerkt, es wirkt wirklich und plötzlich ist es im Mainstream angekommen und es gibt nichts Normaleres auf der Welt als  morgens geschredderten Grünkohl zu sich zu nehmen. Das Tagebuchschreiben ist dabei eine ähnliche Karriere hinzulegen.

Ich könnte sagen, wenn du zu den coolen Leute gehören willst, die vor allen anderen schon dabei waren, dann fang jetzt an Tagebuch zu schreiben. Es ist großartig, glaub mir.

Das wäre wahrscheinlich die Wahrheit, aber ich lasse gerne Fakten sprechen oder Erfahrungen. Und vor einigen Tagen ist mir – mal wieder – ein großartiges Buch zum Thema Journaling in die Hände gefallen: Let It Out: A Journey Through Journaling.

Es ist ein weiterer Beleg dafür, welche heilende und stärkende Kraft im Schreiben steckt, die jeder nutzen kann. Darum hier ein kleiner Vorgeschmack für alle, die nicht direkt zu Amazon klicken und sich das Buch bestellen.

“Tagebuch schreiben war mein GPS zu psychischer Gesundheit.”

Das sagt Katie Daleabout. Die 27-jährige Amerikanerin litt an einer Essstörung und fand erst durch das Tagebuchschreiben zu einem Selbstwert, der unabhängig von ihrem Gewicht ist. Sie selbst sagt, erst durch das Tagebuchschreiben habe sie erkannt, wer sie wirklich ist. Seitdem setzt sie sich dafür ein, dass möglichst viele Menschen vom Schreiben profitieren und erkennen, dass die Hilfe und Orientierung, die sie suchen, oft nur Stift und Papier entfernt ist.

“Journaling was a way for me to figure out who I was beyond my obsession with dieting and health and weight. Journaling gave me the self-wareness I needed to find my worth outside of the physical appearance, my career or even my relationships and get to the core of who I was as a person.”

Ich bin davon überzeugt, dass das Leben uns zum passenden Zeitpunkt mit den richtigen Menschen und Dingen zusammenführt, wenn wir offen durch die Welt gehen. Katies Geschichte, wie sie zum Tagebuchschreiben gefunden hat, bestätigt das sehr schön. Denn sie hat sich das Tagebuch-schreiben nicht bewusst als Selbsthilfe-Tool gewählt, sondern wurde vom Schreiben gefunden.

Katies Geschichte

Katie Dalebout
Katie Dalebout

Katie versuchte zu diesem Zeitpunkt ihre Esstörung zu überwinden, ging zu Therapeuten und Coaches und las Selbsthilfeliteratur. In einer Buchhandlung fiel ihr mal kein Selbsthilfebuch, sondern ein Notizbuch auf, das ihr besonders gefiel, sodass sie es kurzerhand kaufte. Es hatte unterschiedlich farbige Seiten. Aus einem Impuls heraus beschloss sie, sich mit dem neuen Notizbuch in einen Park zu setzen und bis zu den blauen Seiten einfach ehrlich und authentisch ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Sie beschreibt es als eine karthartische Erfahrung, ein Gefühl von Befreiung.

“It felt so cathartic to get it all out of my mind and see it all in front of me on the page and by the time I got to the blue pages there were still negative thoughts that i had but i felt better just because I were processing them and were writing them.”

Nach dieser Erfahrung machte sie das Schreiben zu einer Gewohnheit, die ihr half zu erkennen, dass sie und ihr Körper ok sind. Dass sie sich nicht verstecken muss. Und dass es ihr nicht weiter helfen würde, Mentoren und Coaches anzuheuern, sondern dass es an der Zeit war, dass sie ihr eigener Mentor wurde.

Wir geben die Verantwortung, wenn es schwierig wird, gerne in Profihände ab. Das ist weniger anstrengend. Letztlich liegt aber uns er eigenes Lebensglück in unseren Händen und so gut und sinnvoll professionelle Unterstützung in manchen Fällen auch ist, sie kann Selbstverantwortung nicht ersetzen. Manchmal ist sie Ausdruck von verantwortlichem Handeln. An einer Auseinandersetzung mit unseren Gedanken und Gefühlen selbst kommen wir allerdings nie vorbei: “journaling has become my free therapy and my security blanket in all my cruicial moments.”

Der Nutzen des Tagebuchschreibens

Einige Minuten am Tag reichen bereits aus, um durch das Chaos der eigenen Emotionen hindurch und zu unserem Kern vorzudringen, der unter dem negativen Selbstgesprächen unseres Monkeyminds liegt, sagt Katie Daleabout. Sie habe immer noch regelmäßig mit negativen Körperbild zu kämpfen, aber das Schreiben helfe ihr, dass daraus nicht schelchte Tage und Wochen werden. Was das Schreiben ihr also bringt?

“I don’t know what I’m feeling unless I’m writing.”

Das Schöne am Schreiben, sagt sie, ist, dass es jeder tun kann. Es steht jedem zur Verfügung der eine WhatsApp-Nachricht oder E-Mail schreiben kann. Niemand muss fehlerfrei oder besonders schön schreiben. Tagebuchschreiben hat nichts mit dem Aufsatzschrieben aus der Schule zu tun. Und es ist ein sicherer Raum. Selbst bei einem guten Freund oder Therapeuten sind wir vielleicht nie ganz offen und halten immer noch etwas zurück, beim Schreiben kann auch dieser letzte Schutzreflex fallen und wir können ganz verletzlich sein.

Es spiele keine Rolle, ob jemand digital oder analog Tagebuch schreibt. Katie selbst schreibt in ganz einfachen Notizbüchern, weil sie festgestellt hat, dass sie Hemmungen hat in wirklich schöne Notizbücher ihre negativen Gedanken zu schreiben. So hat jeder seine kleinen Macken.

Tagebuch schreiben: ein psychologischer Trick

Wer das Tagebuchschreiben für sich ausprobieren will, sollte sich eines psychischen Mechanismus bewusst sein. Unser Gehirn sucht immer nach Antworten auf die Fragen, die wir uns stellen.

Konkret heißt das, wenn ich eine negative Impulsfrage stelle, zu der ich schreiben will, wird mein Gehirn mir pasende Antworten liefern: Warum geht es mir so schlecht? Wenn ich dagegen frage: Was kann ich tun, um meine Situation jetzt direkt zu verbessern? Dann werden auch dazu auf magische Weise aus unserem Unterbewusstsein Antworten produziert.

Diesen Mechanismus kannst du beim Schreiben berücksichtigen, musst es für meinen Geschmack aber nicht. Denn das würde eine Zensur bedeuten und manchmal ist es wichtig, eben wirklich ungefiltert die eigenen Emotionen aus dem Kopf zu bekommen und wenn die gerade nicht  konstruktiv sind, dann ist das ok.

4 hilfreiche Grundhaltungen beim Tagebuchschreiben

Zum Abschluss möchte ich dir vier Grundhaltungen mitgeben, die Katie in ihrem Buch teilt und die beim Tagebuchschreiben hilfreich sind.

  1. Sei neugierig. Tagebuchschreiben ist ein spannendes Abenteuer zu deinen innersten Gefühlen. Das kann Angst machen. Also sei nachsichtig mir dir und forciere nichts. Geh mir leichter Neugier voran, das ist alles, was du brauchst. Jedes Gefühl, das dir begegnet ist wertvoll und dir werden jeden Tag unterschiedliche Gefühle begegnen. Bedenke auch: Der Weg ist wichtiger als das Ziel. Es geht nicht darum, irgendetwas bestimmtest zu erreichen oder zu fühlen.
    Tagebuch schreiben hat Katie Daleabout geholfen.
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  2. Tanz mit dem inneren Widerstand. Widerstand ist unausweichlich. Denn du wirst Gefühle erleben, die wir normalerweise gerne betäuben – mit Essen, TV oder dem Konsum von Selbsthilfeliteratur. Aber sich den eigenen Schmerz genau anzusehen, ist der einzige Weg für wirkliche Veränderung.
  3. Bearbeite nichts. Wir sind nicht in der Schule. Grammatik und Rechtschreibung spielen keine Rolle. Schreib wie du sprichst. Das ist befreiend. Zensiere dich nicht, während du schreibst. Lass die Worte einfach fließen.
  4. Mach einfach weiter. Wenn du neue Dinge tust, die ungewohnt sind, ist es normal, dass du denkst, du machst es  nicht richtig, wobei es beim Tagebuchschreiben kein richtig oder falsch gibt. Halte dich an das Motto: Fake it till you make it. Wenn du noch nicht lange Tagebuch schreibst, kann es unangenehm sein. Du wirst nicht nur angenehmen Gefühlen begegnen. Die meisten hören dann auf. Erlaube dir, deine Gefühle wirklich zu betrachten. Du kannst Gefühle nicht selektiv betäuben. Also frage dich: Willst du dich betäuben oder willst du die ganze Bandbreite von Emotionen fühlen? Schreiben ist eine Chance, Klarheit zu finden. Und manchmal verbirgt sich in deinem Geschriebenen sogar ein Diamant, den du anders nie gefunden hättest.

Ich bin großer Fan des Tagebuchschreibens, auch wenn es bei mir manchmal nur für das Dankbarkeitsjournal reicht, und seit Neuestem auch Fan von Katie Dalebout. Tolle Frau. Tolle Message.

Gehörst du auch den neuen Smoothietrinkern, den Tagebuchschreibern? Was hat dich dazu gebracht, diese Gewohnheit in deinen Tag einzubauen? Wie hat es dein Leben verändert?

Übrigens nehm ich auch gerne Themenvorschläge oder allgemeine Tipps entgegen. Schließlich sollen meine Texte dir auch etwas bringen und nicht nur meine Schreibfreude befriedigen. 🙂

Mehr Input zum Tagebuch schreiben

7 comments

  1. Eva says:

    der Smoothie-Vergleich ist klasse! Ich bin weniger der Tagebuch-Typ, sondern schreibe die Morgenseiten (von Julia Cameron ins Leben gerufen). Das Ritual ist seit 4 Jahren fest eingeplant und eine Art Kopfentrümpeln bevor ich in den Tag starte.

    • Paul says:

      Moin Eva, danke, dass du vorbei geschaut hast 🙂 Die Morning Pages finde ich auch sehr gut. Habe ich auch eine zeitlang gemacht und wechsele gerade mal wieder meine Schreibroutinen durch. Super, dass du es seit vier Jahren durchziehst!

  2. Cosima says:

    Hallo lieber Paul,

    super Text. Schön strukturiert und die Message von Katie gut zusammen gefasst.
    Auf Reise bin ich die absolute Tagebuchschreiberin. Wenn im Schlafsaal schon alle schnarchen, liege ich noch mit Taschenlampe und Stift in meinem Bett und schreibe.
    Doch zuhause fällt es mir schwerer. Ich habe noch ein wunderschönes Tagebuch in meinem Schrank, leer.
    Da werde ich wohl gleich mal reinschreiben.
    Dein Text hat mich wirklich motiviert.

    Danke dafür 🙂
    Liebste Grüße
    Cosima

    • Paul says:

      Hey Cosima,
      ich seh das Bild mit der Taschenlampe vor mir, schöne Sache 🙂 und freut mich sehr, dass ich dich inspirieren konnte, dein Tagebuch aus dem Schrank zu holen. Yay Ich kenn die Lücke zwischen eigentlich könnte ich mal und machen ziemlich gut und werde demnächst daher zu einer 30-Tage-Tagebuch-Challenge einladen. Vielleicht ist das ja auch was für dich und du kannst damit eine neue Tagebuch-Gewohnheit starten:).
      Eine gute Schreibzeit und viele Grüße!

  3. Patricia says:

    Hey Paul,

    schöner Artikel.

    Die Gedanken zu Papier zu bringen hilft wirklich. Das Schreiben kann ein Ventil sein.

    Sobald die Gedanken auf das Papier fließen, haben wir sie klarer vor Augen. Es ist eine interessante Art der Selbstreflektion.

    Alles Liebe
    Patricia

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