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Wie die Sucht nach Superlativen unsere Gefühle zerstört

Nicht nur in der Politik sind die Extreme im Aufwind. Auch in der Alltagssprache. Und nein, ich rede nicht von Auswüchsen der Jugendsprache, sondern von einem grundlegenden Wandel, der jeden von uns betrifft. Gewollt oder ungewollt.

Was für den einen extrem ist, ist für den anderen Alltag. Daher lass uns kurz klären, was ich mit sprachlichem Extremismus meine. Aus meiner Sicht kann er nämlich viele Formen annehmen.

Da sind die Studenten, die alles “mega chillig” angehen lassen und sich “völligst aufregen” über die Prüfungen, aber da sind auch erwachsene Sprachextremisten, die eine durchschnittlich aufbereitete Präsentation als “ganz großes Ding” und den Kollegen für seine Top-Leistung auf  “Championsleague-Niveau” feiern. Hammer Vorlage für die Konkurrenz. Mega. Auf ein völlig neues Level gehoben. Wenn ich dann noch vom Chef höre, der ein krasses Dienstleistungsmindset einfordert und für den geilen – im schlimmsten Fall sogar grenzgeilen (kein fiktives Beispiel) – Einsatz dankt, den das Team absolut gerockt hat, dann spätestens brauche ich eine Pause.

Eine Pause von den permanenten Superlativen.

Lob ist wichtig. Sich freuen und Erfolge anerkennen – darf alles sein. Aber wenn jede durchschnittliche Pflichterfüllung und jedes Alltagserlebnis mit Superlativen gefeiert wird, dann bleibt für die wirklich einmaligen und besonderen Momente im Leben keine Steigerungsform mehr übrig.

Dann bleibt für die Magie des Lebens nur noch Schweigen.

Vielleicht ist das überhaupt die einzig angemessene Würdigung, die uns noch bleibt.

Und es ist nicht einfach nur ein Schmerz im Ohr, diese Sprachextremisten anzuhören, der Dauerbeschuss von Superlativen, der auf unsere neuronalen Netze im Gehirn abgefeuert wird, hat eine bedenkliche Wirkung auf unsere Emotionen.

Reize, denen wir kontinuierlich ausgesetzt sind, lassen uns abstumpfen.

Ich fühle mich an manchen Tagen schon wie ein schwerhöriger Rentner, der seine Lieblingsmusik jedes Jahr ein kleines Stückchen lauter drehen muss, um den gleichen Hörgenuss zu erleben wie im Jahr zuvor. Je mehr ich von Grandiosität und Geilheit, von Weltklasse und Quantensprüngen umgeben bin, desto weniger regen sich meine Emotionen.

Der sprachliche Extremismus wirkt auf die eigene Empfindsamkeit wie ein Flächenbrand.

Zurück bleibt verbrannte Erde. Ein paar Äste finden sich zwar noch und in ihnen ist im Inneren auch noch Leben, aber ihre Oberfläche wirkt tot.

Das laute Geschrei der Superlative hat eine emotionale Taubheit bewirkt, die ich nicht nur bei mir, sondern auch bei vielen Menschen in meiner Umgebung feststelle und die mir manche nach ein paar Wochenendgetränken auch selbst beschreiben.

Was mich an Sprache fasziniert, ist ihre basisdemokratische Natur.

Selbst der Duden kapituliert vor ihr und nimmt einfach auf, was das Volk lang genug und laut genug im Alltag verbreitet statt von oben herab zu diktieren. Sprache lebt. Sprachtrends verändern sich.

Und wenn ich von Sprache rede, dann meine ich gesprochene und geschriebene Sprache. Laut geäußerte und im Stillen gedachte. Wie redest du eigentlich mit dir? Gehörst du wenigstens zu denen, die die Superlative dazu benutzen, sich zu motivieren statt sich zu kritisieren?

Die Sucht nach Superlativen hat den Mainstream erreicht. Das scheint Fakt. Kein Wunder, gehören doch die 30-Sekundenclips mit den verrückteste und spektakulärsten Menschen und Erlebnisse schon zum Standard im Newsfeed.

Unsere Konfrontation mit Extremen hat zugenommen – auf allen Kanälen.

Es scheint fast logisch, dass sich auch unsere Sprache anpasst. Wir wollen etwas von der photoshopretuschierten Perfektion, von der grellen Intensität in unseren Alltag bringen. Wir wollen unseren Botschaften Nachdruck und dem Moment mehr Intensität verleihen und erreichen am Ende nur das Gegenteil.

Für die wirklich besonderen Momente fehlen uns die Worte.

Schlimmer noch, der permanente Konfettiregen aus Worthülsen hat uns nur ein Stück weiter von unseren wahren Emotionen entfremdet, für die wir kaum noch die richtigen Worte finden.

Du siehst das ganz anders? Du willst Aspekte zum Thema ergänzen? Ich bin gespannt auf deine Meinung, solange sie frei von sprachlichen Extremen ist. 😉

3 comments

  1. Dazu kommt dann noch alles, was mit irr-sinnig und wahn-sinnig superlativiert wird, das dann auch den Irr- und /oder Wahnsinn in unser Leben bringt – nämlich auch für wunderschöne, zauberhafte Dinge, Situationen und Menschen, um das Spannungsfeld noch zu vergrößern.
    Irrsinnig klasse, irrsinnig schön, wahnsinnig geil, wahnsinnig super etc. fallen für mich schon unter Paradoxon.
    Ich habe vor einiger Zeit einen Vortrag erarbeitet über die aggressiven Ausdrücke in der deutschen Sprache und dazu auch Empfehlungen ausgesprochen. Die Kollegin, die vom Marketing kam, konnte damit nichts anfangen, es wäre alles nur Weichspülerei ;-/ Doch ich weiß für mich, dass es was ausmacht.
    Danke für diesen Beitrag, er spricht mir aus dem Herzen. Herzlichst Michaela

    • Paul says:

      Michaela, hast du recht. Ein Irrsinn oder Wahnsinn, diese Sprachverhunzerei ;). Im Marketing gelten leider ganz eigene Regeln, wie ich aus Erfahrung weiß. Umso schöner, wenn es auch einen Sprachraum außerhalb gibt, den jeder selbst gestalten kann. Viele Grüße
      Paul

  2. Kattka says:

    Lieber Paul,

    Danke für diesen Beitrag!
    Wirklich schöne Worte hast du hier gefunden.

    Mir war es auf der Sprachebene noch gar nicht so stark bewußt gewesen wie in anderen Lebensbereichen. Ein für mich prägnantes Beispiel sind Geburtstagsgeschenke für Kinder…. hier bleiben oft ja kaum noch Steigerungsmöglichkeiten für kommende Jahre….
    WAS KOMMT NACH DEM SUPERLATIV ???
    (nichts wahrscheinlich, zurück auf Null, auf Anfang)
    Diese Angst/Sucht “auch ja mithalten zu können”…… und entweder können/ wollen die Kinder sich diesem Druck nicht entziehen und/oder die Eltern.
    Wir alle suchen hier nach unserem Weg und schreien u.U. selber immer lauter in die sich immer stärker verkürzende Aufmerksamkeitsspanne unserer Gegenüber. Physiologisch ist dieser Effekt, dass wir damit die Schwellenwerte unserer Nerven für die Reizannahme immer höher treiben, schon lange bekannt.
    Es wohnt dem sicher eine gewisse Hilflosigkeit inne, aber ich sehe es auch als eine Art Hunger & Geiz: je lauter mein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Anerkennung schreit, desto weniger habe ich davon für andere “übrig”. So erkläre ich mir diese HYPE-Spirale. Es kann mir wie ein Spiel von Bettlern vorkommen, die versuchen sich gegenseitig in die Taschen zu greifen.

    Spieß umdrehen und auf den eigenen Handlungsfreiraum zurückbesinnen, selbst die Veränderung im Sinne Ghandis sein: bewußter die eigene Aufmerksamkeit lenken, sich selbst und anderen zuwenden, still sein (können)…. Danke, Paul.

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