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Was du aus dunklen Tagen lernen kannst – Impathie-Training mit Stift und Papier

Ich wusste, dass diese Tage kommen würden und ich hatte Angst davor. Die Tage, an denen nichts mehr geht. An denen an Schreiben nicht zu denken ist. 

Ich liege im Bett und spüre meinen Herzschlag im Kopf pulsieren. gefühlte 50 Schläge zu schnell. Meine Gedanken springen im gleichen Tempo ohne irgendwo Halt zu finden, während mein Körper mir fremd und unendlich schwer erscheint. Ich versuche mich aufzurichten, aber der Impuls kommt nicht an. Und so bleibe ich liegen ohne Zeitgefühl. Schlafe in ihre Träume ein und wache wieder auf. Irgendwo verfangen in der Zwischenwelt aus wach und schlafend. Bis ich mich gegen Mittag aus dem  Bett rolle…

So ungefähr fühlt es sich an, wenn mich ein Stimmungstal erfasst. Warum ich das schreibe?

Weil Täler zum Leben dazu gehören.

Für jeden sieht so ein Tal ein wenig anders aus. Manche sind flach, andere so tief, dass wir fürchten, nie mehr herauszukommen. Jeder wird immer wieder in seinem Leben solche Täler durchwandern.

Und ich schreibe darüber, weil wir aufhören sollten, sie wegmachen zu wollen. Es kommt vielmehr darauf an, wie wir mit diesen Tälern umgehen. Denn sie können uns wertvolle Erfahrungen lehren.

Dunkle Tage können uns helfen, unser Leben reicher zu machen und intensivere Beziehungen zu führen.

Die vielen Blogs, die die ewige Selbstoptimierung propagieren und alles in soundso vielen Schritten regeln wollen, kann ich an diesen Tagen nicht ertragen. Die, die alles geil und großartig finden und so laut schreien, dass die Zwischentöne des Lebens keine Chance haben, müssen ohne mich auskommen. Die nicht verstehen, dass Selbstverantwortung kein Garant für Glück und Erfolg sind und Mitgefühl als kalkulierbare Ressource einsetzen, haben an diesem Wochenende keinen Platz. Montag wieder. Heute nicht.

Erlaubst du dir, auch mal schwach zu sein? Überfordert zu sein und vom Leben genug zu haben?

Ich will dich ermutigen, verletzlich zu leben. In einer Welt, die uns das in ihrer Brutalität manchmal verdammt schwer macht. Weil wir Gefühle nicht selektiv betäuben können.

Die einzig sichere Methode, dich vor dunklen Tagen zu schützen, ist es, gar nichts mehr zu fühlen.

Und was wäre das Leben dann wert?

Was können wir also stattdessen tun?

Wenn wir es schaffen, den Schmerz anzuschauen und auszuhalten, schärft er unseren Blick und wir können unter die Oberfläche sehen. Zumindest ist das meine Erfahrung. Wir haben die Chance zu lernen, worauf es wirklich im Leben ankommt und werden offen für echte zwischenmenschliche Verbindung. Um mit jemandem mitzufühlen, muss ich Kontakt aufnehmen zu eigenen ähnlichen Erlebnissen. Echte Empathie braucht die Erfahrung.

Und ich möchte in einer  Welt leben, in der Menschen einander empathisch begegnen. Du nicht?

Bevor wir das wirklich tun können, müssen wir aber in der Lage sein, uns selbst gegenüber empathisch zu sein. Der noch viel zu selten benutzte Begriff dafür ist Impathie. Er lässt ist sich schnell hinschreiben, ist aber sehr viel schwerer zu praktizieren, vor allem dann, wenn wir sie am nötigsten haben. Wenn wir uns und die Welt satt haben. Wie gut gelingt es dir, dir selbst in schwierigen Situationen mit Mitgefühl zu begegnen und in deinem inneren Dialog zu dir wie zu einem guten Freund zu sprechen?

Viel häufiger verhalten wir uns wie unsere schlimmsten Kritiker und machen uns zusätzlich fertig dafür, dass wir es nicht hinbekommen, uns hängen lassen, wo es doch allen anderen gelingt. Du hast bestimmt deine eigenen gern genommenen Vorwürfe.

Zwar scheint es uns bei anderen leichter zu fallen, mitfühlend zu reagieren, aber wie wahr kann diese Empathie sein, wenn wir sie uns in einer ähnlichen Situation verweigern würden? Ein Teil von uns verurteilt das Gegenüber und blockiert authentische Beziehungen. Eine gelingende Unterstützung braucht Impathie auch, damit wir uns von den Gefühlen anderer nicht aus der eigenen Balance bringen lassen. So können wir helfen, ohne die eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu missachten.

Der beste Zeitpunkt Selbstmitgefühl zu trainieren, ist, wenn es uns schlecht geht. Nicht zuletzt weil Impathie ein Resilienzfaktor ist. Wer mit sich selbst mitfühlend umgeht, findet schneller aus emotionalem Ungleichgewicht heraus.

Schreiben kann helfen, die eigene Impathie zu stärken, und gleichzeitig unsere Fähigkeit zu einem achtsamen hilfreichen Umgang mit anderen verbessern. Der Fokus auf uns selbst wird zur Abkürzung zum anderen.

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In der Wissenschaft werden 5  Dimensionen der Impathie unterschieden, die wir als Leitfaden für das eigene Impathietraining nutzen können.

  • 1) Bewusste Selbstwahrnehmung
  • 2) Metaposition und innere Kommunikation
  • 3) Annehmende Haltung
  • 4) Selbst-(Er)Kenntnis
  • 5) Reaktion.

Impathie-Training mit Stift und Papier

compassion

Disclaimer: Ich beschreibe eine Möglichkeit, wie du schreibend einen hilfreicheren Umgang mit vermeintlich negativen Gefühlen und Gedanken finden kannst. Es ist nicht der eine oder beste Weg. Es ist auch nicht zwingend nötig Schreiben als Werkzeug zu verwenden, um impathischer zu werden, aber da du das Schreiben anscheinend genauso magst wie ich, bietet es sich an, es einzubauen. Also, fangen wir an.

  1. Bewusste Selbstwahrnehmung: Um Impathie zu entwickeln, müssen wir unsere Achtsamkeit schulen. Wir müssen überhaupt wahrnehmen, was in unserem Gefühlsleben vor sich geht. Hierzu hilft es mir, mich nicht nur an dunklen Tagen hinzusetzen und in Form eines stream of consciousness writing einfach ungefiltert Gedanken und Gefühle aufs Papier zu bringen. Wenn du gerade mitten in einer dunklen Phase bist, dann ist genau das auch ein guter Schritt, um sie aufzuhellen. Setz dich hin und versuch Worte zu finden, für das, was in dir vorgeht. Es geht nicht um den perfekten Ausdruck, sondern einfach darum, die Leere, den Schmerz, welche Gefühle auch immer, nach außen zu bringen. Sichtbar vor dir aufs Blatt. Es ist nicht notwendig, dir ein Zeitlimit zu setzen. Ich schreibe in der Regel so lange, bis ich das Gefühl habe, jetzt ist alles raus. Mehr Worte fallen mir wirklich nicht ein.
  2. Metaposition und innere Kommunikation: Wenn dein Schmerz so vor dir auf dem Blatt liegt, macht das die Situation nicht sofort besser, aber es schafft einen ersten Abstand, der es möglich macht, sich die Lage überhaupt einmal “von außen” anzusehen, die eigenen inneren Dialoge und Emotionen aus einer Beobachterperspektive zu betrachten. Nachdem ich fertig geschrieben habe, setze ich mich also in meine Meditationshaltung (Schneidersitz, Kniesitz oder aufrecht auf einem Stuhl) und…tue nichts. Ich meditiere 5 Minuten, indem ich mich auf meinen Atem konzentriere. Versuche nichts zu erzwingen. Lass deine Gedanken kommen und gehen und kehre immer wieder zum Atem zurück.
  3. Annehmende Haltung: Danach mache ich eine Metta Meditation, wobei ich mich darauf konzentriere eine mitfühlende Haltung meinem momentanen Selbst gegenüber einzunehmen. Damit habe ich in der Regel genug zu tun. Wenn es dir gelingt, Freunde, Familie und das Universum in dein Mitgefühl einzuschließen, dann mach das. Das ist im Sinn der Metta Meditation. Für die Meditation nutze ich entweder eine Anleitung aus der Calm App oder ich mache es aus der Erinnerung. Länger als 30 Minuten meditiere ich nicht. Du solltest die Zeit nicht zu kurz halten, um wirklich Mitgefühl aufkommen und wachsen lassen zu können. Wenn ich kein Mitgefühl erzeugen kann, nehme ich das so an und übe mich darin, mich nicht dafür zu verurteilen, sondern eben genau das anzunehmen…
  4. Selbst (Er-)Kenntnis: Meist bin ich danach bereits in einem besseren emotionalen Zustand, manchmal sind mir in der Meditation neue Einsichten gekommen, die ich aufschreibe, manchmal ist einfach die Grundstimmung soweit aufgehellt, dass ich notiere, was “Das Gute des Schlechten” sein könnte. Oder ich schreibe eine Affirmation, in der ich mir mein Mitgefühl ausdrücke und die sich gerade gut und hilfreich anfühlt. Hin und wieder kommt auch ein Blogartikel dabei zustande…Regeln gibt es keine. Sei kreativ und finde eine Form, die für dich passend ist.
  5. Reaktion: Zuletzt überwinde ich mich, einen konkreten kleinen Schritt zu tun. Was würde einem guten Freund gut tun, der in einer ähnlichen Situation ist? Was würdest du ihm anbieten? Genau das tue ich dann für mich.

Wir haben alle mit mentalen Hängern zu tun. Manche häufiger andere seltener. Manche mit ärztlichem Attest, andere ohne. Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der innere Dunkelheit als Schwäche stigmatisiert wird. In der Selbstoptimierung zur Arroganz führt, man könne jegliche Schattennächte eliminieren.

Wenn du gerade eine solche Schattennacht erlebst, dann sitze ich neben dir. Wenn dir Schattennächte fremd sind, dann lade ich dich ein, einen neuen Blick auf sie zu werfen.

Danke dir, dass du bis hier hin gelesen hast. Dass du bereit bist, die mit dem ganzen Spektrum an Emotionen zu beschäftigen, die uns das Leben schenkt und die alle einen Wert haben. Du musst mein Impathietraining nicht selbst ausprobieren. Ich freue mich natürlich, wenn du es tust.

Aber wenn du nur eine Sache aus diesem Artikel mitnimmst…

dann lass es Mitgefühl sein. Für dich und für andere. Und überall da, wo dein Lächeln nicht erwidert wird, verschenke es besonders großzügig.

 

Wie pflegst du dein Selbstmitgefühl? Wie gut gelingt es dir, dunklen Tagen etwas Gutes abzugewinnen? Ich freue mich, wenn du deine Erfahrungen in den Kommentaren teilst. Du weißt nie, wem du damit ein wenig Aufhellung bringst.

 

9 comments

  1. Christiane says:

    Lieber Paul, vielen Dank für diesen schönen Artikel. Besonders die Anregung, negative Gefühle bis zur Leere aufzuschreiben, um sie sich dann „von außen“ ansehen zu können, werde ich sicher ausprobieren. Meine dunklen Stunden bestehen eher aus großer Unruhe am Tage und immer wiederkehrendem Hadern. Die Sache mit dem Selbst-Mitgefühl kenne ich schon aus anderen Meditationen, die ich mache. Neulich nachts ist es mir zum ersten Mal außerhalb einer Meditation gelungen, mich selber ganz bildhaft in den Arm zu nehmen. Es war unglaublich erlösend! Ich wünsche Dir, mir und allen anderen das Vertrauen, diesen Weg immer weiter zu gehen: auf einmal funktioniert es.
    Christiane

    • Paul says:

      Danke dir, das muss ein besonderer Moment gewesen sein. Manchmal wär’s schön, wenn solche Zustände anhalten könnten, oder? 🙂 Mir hilft es anzunehmen, dass Selbstmitgefühl nicht schwarz oder weiß, da oder nicht da ist, sondern ich es – je mehr ich übe – desto mehr entdecke und wenn es mal verschwindet, es sich nur versteckt hat und ich es nicht verloren habe …

  2. Monika says:

    Ein ganz wunderbarer Text! Er spricht mir aus der Seele und motiviert mich, wieder mit dem Schreiben anzufangen. Leider hatte ich es zwischenzeitlich vernachlässigt.
    Danke dafür!

    • Paul says:

      Oh das freut mich, ich wünsche dir eine wunderbare neue Affäre mit deinem Schreiben – manchmal hilft ein passendes Bild, um eine Beziehung aufrechtzuerhalten oder ihr neues Leben einzuflößen. Es muss ja keine Affäre sein 😉

  3. Cosima says:

    Hi Paul.
    Was für ein wunderbarer Artikel. Ich danke dir dafür.
    Erst gestern hatte ich einen Moment, wo ich mich selbst verurteilt habe,
    “weil ich es besser weiß und kann” und negative Gefühle nur von meiner Einstellung kommen. Ich versuche gerade herauszufinden, wie ich mich selbst gut strukturieren und organisieren kann mit neuen Projekten, dem Blog, neuer Arbeit, …
    Ich kenne viele Tools, aber irgendwie fühlt es sich noch nicht so klar an.
    Ich habe mich ein wenig darin verstrickt. Gedanken, wie ich muss meine Zeit sinnvoll nutzen, produktiv sein, mit allen Menschen im Kontakt bleiben,…haben Unruhe in mir ausgelöst.
    Meine Schwester hat mich dann auch wieder daran erinnert, sei empathisch mit dir selbst. Struktur ist auch ein Prozess, was funktioniert für dich, probier dich aus, verwerfe manches wieder, es gibt keinen perfekten, optimalen Zustand.
    Ich ändere mich und meinen Projekte ändern sich.

    Danke, dass du mich auch nochmal daran erinnerst.

    Gleichzeitig finde ich die Message total wichtig: Verletzlichkeit ist schön und macht unsere Begegnungen mit uns selbst und anderen Menschen ehrlicher und intensiver.
    Das stelle ich auch immer wieder fest.

    Ich schicke dir liebe Grüße
    Cosima

    • Paul says:

      Hey Cosima, danke dir – ich habe irgendwann festgestellt, dass zu viele Tools für mich auch eher Stress auslösen und dazu beitragen, dass ich mich schlecht fühle, weil ich ja angesichts des verfügbaren Knowhows viel weiter sein müsste…ich wünsche dir ganz viel Leichtigkeit beim Ausprobieren, was für dich funktioniert 🙂
      Viele Grüße
      Paul

  4. Jo says:

    Ein sehr schöner Artikel, lieber Paul!! An dunklen Tagen ist es bei mir oft so, dass ich mich zu nichts aufraffen kann, lieber vor mich her leide und über alles abkotze (Entschuldigung), anstatt zu überlegen, was mir aus der Situation heraus hilft. Dann kriege ich mich oft nicht mal zum Schreiben (oder Malen, was für mich auch immer ein gutes Ventil ist). Manchmal überlege ich schon, ob ich mich damit selbst bestrafen will. Ich wüsste, was mir helfen kann, und tue es trotzdem nicht. Hm, kompliziert…

    • Paul says:

      Danke dir 🙂 Einfach ist’s auf keinen Fall immer und es braucht auch Übung und jeder muss da seine Strategien finden, um den ersten Losbrechmoment hinzubekommen…ich kenne das auch, dass mir das nicht gelingt.

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