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expressives Schreiben nach James Pennebaker

Schreib dich gesund: So nutzt du die besterforschte Schreibintervention der Welt

Früher oder später erleben wir sie alle: kleine und größere emotionale Verletzungen. Sie gehören zum Leben. Viele Verletzungen heilen mit der Zeit. Manche brauchen besondere Pflege, damit sie verblassen. Diese Schreibübung hilft dir, Traumata zu verarbeiten und deine Resilienz zu stärken.

INHALT

Expressives Schreiben nach James W. Pennebaker

Expressives Schreiben ist eine von Psychologieprofessor James Pennebaker bereits in den 1980er-Jahren entwickelte Schreibintervention zur Bewältigung von emotionalen Belastungen und Traumata und zur Stärkung der allgemeinen Resilienz.

Pennebaker forscht und unterrichtet an der Universität Texas. Er gehört zu den renommiertesten Wissenschaftlern auf dem Gebiet des therapeutischen Schreibens, vor allem des Schreibens zur Bewältigung von Traumata.

 Dass eine Schreibintervention, zumal über einen so kurzen Zeitraum (3-5 Tage für 10-30 Minuten), derart positive Auswirkungen haben könnte,  sorgte nach der Veröffentlichung der ersten Studienergebnisse 1986 für einige Überraschung und entfachte ein breites Interesse für die Erforschung des therapeutischen Schreibens.

Das Setting der Studie wurde in den folgenden Jahren und Jahrzehnten wiederholt aufgegriffen.  2006 waren mehr als 150 Studien zum expressiven Schreiben in englischsprachigen Fachzeitschriften publiziert worden.  Zahlreiche positive Auswirkungen der Schreibintervention konnten mittlerweile belegt werden, sodass das expressive Schreiben (expressive writing paradigm) zu den wahrscheinlich am besten erforschten Schreibübungen bzw. schreibtherapeutischen Interventionen zählt.

Das expressive Schreiben nach James W. Pennebaker ist nur eine Möglichkeit von vielen, Schreiben zur therapeutischen Unterstützung und zum persönlichen Wachstum zu nutzen. Mehr Informationen zur Schreibtherapie

Die Wirkungen des expressiven Schreibens

Studien wie Meta-Studien stellen eine positive Gesamtwirkung des expressiven Schreibens für die körperliche und psychische Gesundheit fest. Die positiven Auswirkungen auf die körperliche Gesundheit sind sogar noch stärker als auf die psychische Gesundheit (Frisina, Borod and Lepore, 2004). Auch scheinen psychisch gesunde Menschen stärker zu profitieren als Menschen, die sich in psychiatrischer Behandlung befinden.

Körperliche Gesundheit

  • Signifikant  weniger Arztbesuche  in den Monaten nach der Schreibintervention (Pennebaker & Beall, 1986; Pennebaker et al, 1988; Pennebaker & Francis, 1996; King & Miner, 2000)
  •  Bessere Funktion des Immunsystems  (Wachstum von T-Helferzellen, mehr Antikörper gegen Eppstein Barr Virus, mehr Antikörper nach Hepatitis B Impfung) (Lepore & Smyth, 2002; Pennebaker & Graybeal, 2001; Sloan & Marx, 2004a).
  •  Blutdrucksenkende Wirkung   bei Patienten mit hohem Blutdruck, hielt auch vier Monate nach der Intervention noch an (Davidson et al, 2002, citing Crow et al)
  •   Verbesserte Lungenfunktion und Leberfunktion, verringerte Rheumasymptomatik  (Smyth et al, 1999; Francis & Pennebaker, 1992)

Psychische Gesundheit und Sozialleben

  •  Bessere Studienleistungen  (Pennebaker & Francis, 1996; Cameron & Nicholls, 1998)
  •  Weniger Fehltage bei der Arbeit  (Francis & Pennebaker, 1992)
  •  Schnellere Wiederbeschäftigung  nach Arbeitsplatzverlust (Spera et al, 1994)
  •  Besseres Arbeitsgedächtnis  (Klein & Boals, 2001)
  •  Besseres Sportergebnisse  (Scott et al, 2003)
  •  Bessere soziale Integration  (Pennebaker & Graybeal, 2001).
  •  Verbessertes psychisches Wohlbefinden  (Park & Blumberg, 2002)
  •  Abnahme depressiver Symptome  (Lepore, 1997)

Expressives Schreiben – Die Original-Anleitung (in deutscher Übersetzung)

Die Anleitung zum expressiven Schreiben wurde im Laufe der Jahrzehnte  und Forschungen immer wieder abgewandelt, blieb aber im Kern unverändert.  

Wer das expressive Schreiben kennenlernen und ausprobieren möchte, kann die Anleitung aus dem Buch “Opening up by writing it down” von James W. Pennebaker und Joshua M. Smyth verwenden, die ich sinngemäß übersetzt habe.

“Finde einen ruhigen Ort. Nimm dir 20 bis 30 Minuten Zeit, um dich mit deinen tiefsten Gefühlen und Gedanken auf ein Ereignis in deinem Leben zu fokussieren, das dich belastet oder aufwühlt. Welches Ereignis du auch immer aussuchst, es ist entscheidend, dass du deine Erwartungen loslässt und wirklich deine ehrlichen Gefühle und Gedanken erforschst.

Schreib kontinuierlich, ohne Unterbrechung und kümmere dich nicht um Rechtschreibung, Grammatik oder Stil.

Warnung: Viele Menschen berichten, dass sie sich direkt nach dem Schreiben manchmal traurig fühlen Diese Traurigkeit verschwindet in der Regel nach einigen Stunden. Wenn du bemerkst, dass dich dein Schreiben extrem aufwühlt, höre auf zu schreiben oder wähle einfach ein anderes Thema.”

Die Variationen in der Anleitung beziehen sich häufig auf die Dauer der einzelnen Schreibsitzung und der Intervention als Ganzes. Hier deuten Studien, beispielsweise von Sheese, Brown, and Graziano (2004), an, dass es keine Rolle spielt, ob eine Schreibsitzung einmal wöchentlich für drei Wochen oder einmal täglich für drei aufeinander folgende Tage stattfindet.

Du kannst die Intervention an deine Lebensumstände anpassen. Wichtig ist jedoch, eine Regelmäßigkeit einzuhalten und einen klaren Beginn und ein Ende der Intervention zu definieren. Denn expressives Schreiben ist nicht als Schreibgewohnheit gedacht. Ein klares Ende erlaubt es dir auch zu prüfen, welche positiven Veränderungen in deinem Leben eingetreten sind, dein Schreibens gegebenenfalls zu modifizieren oder weitere Unterstützung zu suchen.

Do’s and Don’ts für heilsames Schreiben

Die folgenden Richtlinien für heilsames Schreiben sind angelehnt an Louise De Salvos Guidelines, die auf ihren eigenen Erfahrungen mit expressivem Schreiben nach Pennebaker basieren und die sie auch über diese konkrete Übung hinaus als Kompass  für heilsames Schreiben verwendet.

Lousie Da Salvos ist Autorin und Professorin am Hunter College, New Jersey. In ihren Kursen unterrichtet sie Studierende im biographischem Schreiben mit dem Ziel, Traumata zu heilen und persönlich zu wachsen.

 Du kannst die Do’s and Don’ts auf eine Karteikarte schreiben und in dein Journal legen. So kannst du vor einer Schreibsitzung immer einen Blick werfen und dich in ein hilfreiches Mindset bringen, bevor du beginnst. 

Do’s

  1. Schreibe für 20 Minuten pro Tag an 4 aufeinanderfolgenden Tagen. Du kannst diese Schreibserie wiederholen, aber lass dir genug Tage und Wochen zwischen den einzelnen Serien, damit du dich emotional nicht überforderst.
  2. Schreib in einem sicheren, angenehmen und privaten Umfeld.
  3. Schreib über ein Thema, das dich aktuell beschäftigt, das dich belastet und über das die immer wieder nachdenkst oder träumst. Schreibe über ein Trauma, über das du bisher nicht gesprochen hast oder das du bisher nicht lösen konntest.  
  4. Schreib auch über Freude und Begeisterung, wenn du dir Zeit für eine Schreibsitzung nimmst.
  5. Schreib darüber WAS passiert ist, aber auch immer WIE du dich dabei gefühlt hast. Verknüpfe äußere Ereignisse und inneres Erleben.
  6. Schreib so detailliert und strukturiert wie möglich. Beschreibe Szenen lebhaft und emotional. Kümmere dich dabei nicht um Rechtschreibung und Grammatik.
  7. Die positiven Wirkungen des Schreiben werden eintreten, ob du deine Texte teilst oder nicht. Wenn du dich entscheidest, sie nicht zu teilen, finde einen sicheren Ort, an dem du sie aufbewahren kannst.
  8. Stelle dich darauf ein, dass du zunächst – deinen Themen ganz angemessen – schwierigen und komplexen Gefühlen begegnen wirst. Zögere nicht, dir die zusätzliche Unterstützung zu suchen, die du brauchst

Don’ts

  1. Verwende Schreiben nicht als Ersatz dafür, ins Handeln zu kommen.
  2. Gehe an das Schreiben nicht zu verkopft heran.
  3. Nutze das Schreiben nicht, um zu jammern und zu klagen. Nutze es stattdessen, um herauszufinden, warum du fühlst, wie du fühlst. Dich einfach nur zu beklagen, wird dein Empfinden wahrscheinlich eher verschlimmern.
  4. Nutze das Schreiben nicht, um in einem ungesunden Maß ich-bezogen zu werden und alles und jeden exzessiv zu analysieren. Zu viel Analyse führt zu Gedankenkreisen und ist kontraproduktiv.  
  5. Nutze Schreiben nicht als Ersatz für therapeutische oder medizinische Hilfe.

Expressives Schreiben – ein Fazit

Expressives Schreiben wirkt. Zwar gibt es noch weiteren Forschungsbedarf zu den Wirkzusammenhängen und den Voraussetzungen, unter denen diese Form des Schreibens wirkt. Denn nicht in jedem Fall werden Erfolge sichtbar. Das Schöne beim expressiven Schreiben ist allerdings, dass es nebenwirkungsarm ist.  Wer die in diesem Artikel aufgelisteten Grundregeln beherzigt, kann einfach ausprobieren, ob ihm das expressive Schreiben gut tut.    

Dieser Artikel will einen Überblick über das expressive Schreiben geben und einen Einstieg in die eigene Praxis ermöglichen. Wer sich tiefergehend mit der Forschung zum therapeutischen und expressiven Schreiben beschäftigen will, ist eingeladen, die verlinkte Literatur zu lesen.

Wissenschaftliche Quellen

Cameron, L. D., & Nicholls, G. (1998) Expression of stressful experiences through writing: Effects of a self-regulation manipulation for pessimists and optimists. Health Psychology, 17, 84–92. Web of Science

Davidson, K., Schwartz, A. R., Sheffield, D., et al (2002) Expressive writing and blood pressure. In The Writing Cure: How Expressive Writing Promotes Health and Emotional Well-being (eds S. J. Lepore & J. M. Smyth), pp. 17–30. Washington, DC: American Psychological Association.

Francis, M. E., & Pennebaker, J. W. (1992) Putting stress into words. The impact of writing on physiological, absentee, and self-reported emotional well-being measures. American Journal of Health Promotion, 6, 280–287. Web of Science

King, L. A. & Miner, K. N. (2000) Writing about the perceived benefits of traumatic events: implications for physical health. Personality and Social Psychology Bulletin, 26, 220–230. Full Text

Klein, K. & Boals, A. (2001) Expressive writing can increase working memory capacity. Journal of Experimental Psychology: General, 130, 520–533.

Lepore, S. J. (1997) Expressive writing moderates the relation between intrusive thoughts and depressive symptoms. Journal of Personality and Social Psychology, 73, 1030–1037. Web of Science

Lepore, S. J. & Smyth, J. M. (eds) (2002) The Writing Cure: How Expressive Writing Promotes Health and Emotional Well-being. Washington, DC: American Psychological Association.

Park, C. L. & Blumberg, C. J. (2002) Disclosing trauma through writing: testing the meaning-making hypothesis. Cognitive Therapy and Research, 26, 597–616. Web of Science

Pennebaker, J. W. & Beall, S. K. (1986) Confronting a traumatic event. Toward an understanding of inhibition and disease. Journal of Abnormal Psychology, 95, 274–281. Web of Science

Pennebaker, J. W. & Francis, M. E. (1996) Cognitive, emotional, and language processes in disclosure.Cognition and Emotion, 10, 601–626. Web of Science

Pennebaker, J. W. & Graybeal, A. (2001) Patterns of natural language use. Disclosure, personality, and social integration. Current Directions, 10, 90–93. Web of Science

Pennebaker, J. W., Kiecolt-Glaser, J. K. & Glaser, R. (1988) Disclosure of traumas and immune function. Health implications for psychotherapy. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 56, 239–245. Web of Science

Scott, V. B., Robare, R. D., Raines, D. B., et al (2003) Emotive writing moderates the relationship between mood awareness and athletic performance in collegiate tennis players. North American Journal of Psychology, 5, 311–324.

Sloan, D. M. & Marx, B. P. (2004a) A closer examination of the structured written disclosure procedure.Journal of Consulting and Clinical Psychology, 72, 165–175. Web of Science

Smyth, J. M., Stone, A. A., Hurewitz, A., et al (1999) Effects of writing about stressful experiences on symptom reduction in patients with asthma or rheumatoid arthritis. A randomized trial. JAMA, 281, 1304–1309. Web of Science

Spera, S. P., Buhrfeind, E. D. & Pennebaker, J. W. (1994) Expressive writing and coping with job loss.Academy of Management Journal, 37, 722–733. Full Text

9 comments

  1. Hi, ein wunderbarer Artikel. Die Kraft des Schreibens habe ich schon in meiner Jugendzeit entdeckt. Er reinigt den Geist und hilft dir wieder klare Gedanken zu formen.
    Danke für deine Anregungen.
    Liebe Grüße,
    Christian

  2. Lieber Paul,
    Sehr interessant! Ich muss auch wieder mit dem Journaling beginnen.
    Habe das anderthalb Jahre lang gemacht. Nach dem Aufwachen mein “Gedankenbuch”, wie ich es nannte, aufgeschlagen und einfach 20 Minuten drauflosgeschrieben. Ohne Motiv und ohne Ziel. War spannend zu sehen, was dabei alles rauskam und ich startete den Tag total geordnet und erleichtert.
    Wie sieht deine momentane Journaling-Routine aus. Du bist ja Vollprofi und hast schon von so vielen verschiedenen Varianten hier erzählt!
    Würde mich wirklich interessieren.

    • Paul says:

      Philipp, zurzeit bin ich wieder zurück zu dem, womit ich angefangen habe. Dem 5-Minuten-Journal. Diesmal ist es das 6-Minuten-Journal. Für mich ist es gerade in schwierigen Phasen das beste Template, was ich daran merke, dass meine Schrift immer kleiner wird und ich mehr schreibe, als vorgesehen ist. 🙂 Kann nur empfehlen, da einfach mal ein paar Journals auszuprobieren oder einfach ein leeres Notizbuch zu nehmen.

  3. Anina says:

    Lieber Paul, ein wirklich toller Artikel. Ich habe die Bücher gerade selbst gelesen und finde deinen Artikel sehr hilfreich und toll.

    Ich selbst habe das expressive Schreiben und die Kraft des Schreibens auch selbst schon erfahren dürfen.

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